Aller Anfang ist schwer. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich diesen Satz nun schon in meinem Leben gehört habe. Doch für diesen Text weiß ich nicht, wo ich anfangen soll, weil ich vergessen habe, wann die Kapitulation in meinem Leben angefangen hat, ob es überhaupt einen Anfang und ein Ende gibt. Ersteres habe ich vergessen, für letzteres bete ich in jeder dieser Nächte.
Noch vor einem Jahr höre ich mich sagen: „Ich überarbeite mich nicht, ich habe meine Grenzen kennengelernt als ich Abitur geschrieben habe.“ Für den Moment stimmte das. Mir ging es so gut wie lange nicht, ich war resilient und auch wenn nicht immer alles einfach war in dieser Zeit, so wusste ich in Dresden zumindest, wo ich neue Kraft, Energie und Inspiration finde. Ich fühlte mich, als hätte ich die dunklen Erfahrungen meiner Schulzeit ein für alle mal hinter mich gebracht. Dann zog ich um, begann mein Studium und hörte wieder: „Aller Anfang ist schwer.“
Seit dem versuche ich, auf mich aufzupassen, nur um immer und immer wieder festzustellen, dass die Momente des Glücks und der Zufriedenheit letztlich in der Minderheit bleiben, überschattet von Zweifeln, Stress, Überforderung und einem nicht endenden Gefühl des Vermissens. Ich versuche, auf mich aufzupassen, doch schaffe es nicht, „Nein“ zu sagen, weil ich die „Ja“-Option liebe, als wäre sie meine Freizeit.
Meine Mentale Gesundheit zieht sich seit einem halben Jahr in die Maske für menschenumringte Momente zurück. Mir geht es gut, solange ich mit Menschen umgeben bin, die mich ablenken und mit denen ich die unendlich vielen wundervollen Studi-Leben-Erinnerungen sammeln kann. Doch ich habe aus meiner Schulzeit gelernt und zum ersten Mal in meinem Leben auch angefangen, darüber zu reden, wenn es mir nicht gut geht. Ich habe den Anfang geschafft, auch in menschlicher Gegenwart ein Stück meiner mental gesunden Maske fallen zu lassen. Das macht Angst, so viel Angst. Denn dadurch fühlt es sich plötzlich real an, so als hätte der Schmerz ein Recht darauf, zu existieren. Sollte jemand diesen Text lesen, der sich darin wiederfindet, so kann ich sagen: Es macht Angst, gehört zu werden, aber es lohnt sich, denn es bringt auch Hoffnung auf ein leiser Werden des Schmerzes und der Überforderung mit sich.
Mein neues Semester hat angefangen und 24 Stunden reichen plötzlich nicht mehr für einen Tag. Ein lähmendes Gefühl der Überforderung setzt ein, sobald ich auf meine ToDo-Liste schaue. Sie abzuarbeiten wäre theoretisch machbar, doch ich sitze davor, starre sie an, unfähig etwas zu tun oder an etwas zu denken. Freeze. Mein Gehirn kapituliert, gibt auf, weigert sich, etwas zu tun, zu denken, bleibt nur noch am Leben. Zum ersten Mal bin ich gezwungen, Aufgaben zu streichen. Verantwortung abzugeben, obwohl ich schon Mal „Ja“ gesagt habe, Menschen sich auf mich verlassen haben.
Aber es ist okay. Menschen haben oft mehr Verständnis als man erwartet und keine Aufgabe der Welt ist es wert, die eigene Gesundheit wissentlich und bereits spürbar zu gefährden, vor allem wenn man die Option hat, „Nein“ zu sagen, ohne die Existenzgrundlage zu verlieren. Ich schreibe diesen Text aus einer privilegierten Perspektive, denn ich kann mir weitestgehend aussuchen, welche Arbeit ich übernehme und welche nicht, wie weit weg ich ziehe und wie arbeitsintensiv der Studiengang ist, den ich mir aussuche. Dass meine Probleme selbst geschaffene, aus Privilegien resultierende sind, ist mir bewusst, aber davon wird der Effekt auf meine Psyche nicht geringer.
Ich schreibe diesen Text, um euch zu sagen, was ich in den letzten Wochen besonders intensiv lernen musste:
Es ist okay, aufzugeben.
Es ist okay, etwas abzubrechen, nachdem man bereits Arbeit und Energie reingesteckt hat.
Es ist okay, sich gegen etwas zu entscheiden, was einen unendlich glücklich gemacht hat und zur gleichen Zeit nie für die Zukunft gemacht war, weil es mit jeder Sekunde Kraft genommen statt gegeben hat.
Es ist okay, zuzugeben, dass es einem nicht gut geht und Hilfe anzunehmen.
Es ist okay, sich krank zu melden, wenn man nicht mehr arbeiten kann, weil die Psyche nach einer Pause schreit.
Es ist okay, von Emotionen und nicht nur produktiver Arbeit belastet zu sein.
Es ist okay, weinend zusammenzubrechen, weil man nicht mehr will.
Es ist okay, einfach nach Hause zu fahren und später weiter zu machen, einen neuen Weg zu finden, statt an dem aktuellen zu Grunde zu gehen. Es ist okay, menschlich zu sein.
Es ist okay, zu kapitulieren.
Und es wird okay sein. Irgendwann zwischen Anfang und Ende wird es wieder so okay sein, dass man das Ende vergisst. Der Anfang wird leicht sein, sodass man einfach nur noch den Moment sonnendurchflutet und musiküberströmt lebt und ein „Ja“ wieder für immer halten kann.
– passt auf euch auf, Alyrène
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