Liebe Lesende,
Was ist das Gegenteil von Liebe?, fragt die Poetry-Slammerin Lina Klöpper und findet ihre Antwort in den kleinen störenden Alltäglichkeiten des Lebens, in unangenehmen Begegnungen und den Auseinandersetzungen mit Dingen, die wir lieber in der Schublade lassen. Ein Nutzer kommentierte unter dem Video ihres Slams auf Youtube: „Inhaltlich flach und einfach nicht tiefgreifend. Zum Thema hätte ich mir mehr erwartet, nicht nur moderne Disskusionsthemen, mit denen sich eine über 12-jährige Person nicht ernsthaft unterhalten kann. Zudem hätte ich mir einen anderen Einstieg gewünscht, indem eventuell der Begriff Liebe definiert.“
Als ich über diesen Kommentar stolperte, musste ich innehalten. Lassen wir die verkorksten Formulierungskünste außenvor (selbst nach zweimaligem Lesen ploppen vor meinem geistigen Auge in den letzten Zeilen noch Fragezeichen auf) und ignorieren sowohl das Gefühl in der Feedbackrunde einer 10. Klasse gelandet zu sein, als auch das Bedürfnis, semi-ironische Ratschläge („Wirklich interessante Ideen, freu mich schon DEINEN Essay zu lesen <3“) darunter zu schreiben. Nun gut. Es bleibt die Meinung, einem Slam zum Thema Liebe mangle es an Tiefgang. Was bei mir wiederum die Frage aufwirft, ob und wozu ein Liebesessay Tiefgang braucht. Aus einer Laune heraus habe ich mir die Freiheit genommen, einen kleinen Konteressay zum oben zitierten Kommentar zu verfassen. Ich hoffe, er findet Anklang und möchte dazu ermutigen das Ganze mit einem Augenzwinkern zu lesen.
Antwort auf die Frage, ob Liebesessays Tiefgang brauchen
Da eine Definition vermisst wird, will ich direkt mit einer starten. Tiefgang: Oxford Languages beschreibt dieses zweisilbige Wort als ein Substantiv, das den „tiefen, geistigen Sinn von etwas“ beschreibt. Inwiefern lässt sich das mit dem Thema des Slams verbinden? Liebe (und somit auch deren Gegenteil) kann durchaus eine tiefgreifende Erfahrung sein. Ein Gefühl, das Körperreaktionen, soziale Geflechte, Beziehungen, Weltanschauungen, Kunst, Kultur, unsere Wahrnehmung und Lebensrealität wie kaum ein Anderes beeinflusst. Allerdings ist der Sinn von Liebe artbedingt in sich schwer greifbar. Wir können Vermutungen und deren professionelle Vetter, die Thesen, darüber aufstellen wieso, wann, wie und warum Liebe entsteht. Doch für die Meisten unter uns wird sie wohl immer ein Mysterium bleiben. Wir ignorieren Verpflichtungen und Logik für die Liebe, finden in ihr Mut und Kraft, fragen uns wieso sie uns verlässt oder täuscht und glauben in ihrem Namen handeln zu können. Liebe ist das Kinderlachen im Nachbargarten und die geteilte Zigarette halb drei nachts am Bahnsteig. Liebe ist das letzte Eis aus dem Tiefkühler zu angeln und deine Hand, die sich im Krankenhaus um meine schließt. Sie ist so allgegenwärtig und gleichzeitig so nichtssagend, dass ich mich selbst dabei auslache, sie durch begrenzte 26 Buchstaben in den Pixeln dieses Bildschirms festhalten zu wollen. Liebe ist simultan sinnbeladen und sinnleer, was alles das jeder jemals über sie zu sagen hatte zu tiefgreifend und nicht tiefgreifend genug macht. Und wenn du jetzt denkst, dieser Text kratzt nur an der Oberfläche, dann bringt mich das zum Lächeln, weil ich Ironie liebe.
Schreibt was ihr wollt und verbreitet auch im Internet Liebe,
eure Selma ❤
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