Blog Entry No. 54 – Ich sitze in einem Teammeeting und schweige

Ich habe Angst und weiß nicht mal wovor. Ich schweige, obwohl ich so viel zu sagen habe. Ich höre zu, obwohl die Argumente schon längst unter der Gürtellinie sind.

Dieses Bild ist eines meiner Lieblingsbilder vom CSD in Dresden 2021

Ich sitze in einem Teammeeting. Gestern haben sich 125 Menschen mit katholischem Arbeitgeber öffentlich als queer geoutet: „Ich bin queer. Ich habe einen katholischen Arbeitgeber. Ich könnte meine Arbeit verlieren, wenn ich meine Identität ein bisschen zu queer auslebe, ein bisschen queerer liebe als es den konservativen Menschen in der Kirche recht ist.“

Ich sitze in diesem Teammeeting, umgeben von katholischen Kolleg*innen und ich schweige. Ich sitze schweigend in deren Mitte, während sie sich darüber austauschen, welcher Bischof was wann zu dieser Aktion gestern gesagt hat und wie man jetzt im Bistum die Unterstützung deutlich signalisiert. Ich sitze schweigend und ungeoutet zwischen Allies. Ich sollte dankbar sein, dafür, dass ich Glück habe, dafür, dass ich mich eigentlich nicht verstecken müsste, dafür, dass ich sogar queere Inhalte voran bringen und umsetzen kann, ohne schief angesehen, verurteilt oder darauf reduziert zu werden. Ich sollte dankbar sein, queer zu sein und einen katholischen Arbeitgeber zu haben, einer Arbeit nachgehen zu können, die mir Freude bereitet, die mich interessiert und die Menschen erreicht.

Doch ich sitze in diesem Teammeeting und schweige. Ich fühle mich feige. Ich bin in der privilegierten Situation, zu mir selbst stehen zu können und meine Stimme für die Rechte meiner Community erheben zu können, ohne schwerwiegende Konsequenzen fürchten zu müssen. Ich bin nicht einmal getauft, nicht einmal wirklich Teil der Institution, die systematisch immer wieder Menschen diskriminiert, weil sie nicht so leben, wie die Sexualmoral es vorschreibt. Nicht einmal fest angestellt bin ich, nur für ein in der Gen Z ja so verbreitetes „Gap Year“ hier. So viele Gründe, die mir Mut geben sollten.

Ich sitze in einem Teammeeting und die Stimmen meiner Kolleg*innen werden zum Hintergrundrauschen. Mein Bein wippt unruhig auf und ab. Meine Hände sind eiskalt und schweißnass. Mir ist schlecht. Meine Gedanken hängen an den Teilen meiner Community, die in einem demokratischen, freiheitlichen Staat nicht mit garantierten Grundrechten leben können. Denen ein Recht auf Gleichberechtigung und Schutz vor institutioneller, offensichtlicher Diskriminierung verwehrt bleibt. Die keine Akzeptanz, oft noch nicht einmal Toleranz erfahren von einer Glaubensgemeinschaft, die Liebe als einen der wichtigsten, wenn nicht sogar den wichtigsten Wert heiligt. Meine Gedanken hängen an Aussagen von Bekannten, Freund*innen und meiner Familie, die kaum Gegensätzlicher sein könnten.

„Homosexualität auszuleben ist Sünde, die Entfernung von Gott“, „Ist doch total egal, wer wen auf welche Art und Weise liebt, wichtig ist doch, dass man sich liebt und glücklich ist“, „Für alles was nicht hetero ist, will ich erst den entsprechenden Beweis sehen“, „Ich hab dich lieb, auch wenn du ein Mädchen liebst“, „Das zu sehen ist schockierend, aber ich habe die Hoffnung, dass sich jetzt etwas ändert“, „Ich glaube nicht, dass tiefgreifende Reformen noch möglich sind“, „trans*Menschen sind in meinen Augen psychisch tief krank“, „so wenig Sex zu wollen ist schon etwas komisch, meinst du nicht?“, „cool, Ace_Spektrum, da kenn ich mich überhaupt nicht aus, aber ich höre dir gern zu, wenn du mir erzählen willst, wie das für dich ist“, „man legalisiert bei einer hohen Mordrate ja auch nicht plötzlich Mord, nur damit die Statistik besser aussieht“, „ich werde dich immer so akzeptieren und lieben, wie du bist“, „es gibt nur Mann und Frau, alles andere sind Abirrungen“, „Bi zu sein ist doch der neue Trend, wenn man nicht sexuell maximal flexibel ist, gehört man doch praktisch schon nicht mehr zur Gen Z“.

Ich sitze in einem Teammeeting, denke an all diese Aussagen und male mir aus, was passieren könnte, sollte ich doch den Mut aufbringen, meinen Schweigen zu brechen.

– Aly

Anm. d. Verf.: Die Aktion #OutInChurch hat am Montag, den 24. Januar 2022 meiner Meinung nach medienwirksam großartige Arbeit geleistet. Jetzt ist es an uns, diese Initiative auch zu unterstützen. Sei es direkt durch das Unterschreiben der Petition oder eine Spende oder indirekt durch das schauen der veröffentlichten Doku „Wie Gott uns schuf“ und das Gespräch, die Diskussion über die Thematik. Die Unterstützung ist gerade jetzt sehr wichtig, um zu verhindern, dass die Problematik wieder nur totgeschwiegen wird.

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